„Ja, und diese Lücke beim Schreiben, dieses Gender Gap, sehen wir das bald überall?”

Tja, wie war’s? Wie war’s mit meiner Großmutter über Feminismus zu reden? Das frage ich mich seit einer Woche auch und ich bin mir immer noch nicht sicher, wie ich das Gespräch mit meiner Oma beschreiben würde. Es war sehr… widersprüchlich, glaube ich. Zunächst war ich beeindruckt und habe mich sehr gefreut, wie offen und unvoreingenommen sie war und wie oft wir doch mehr oder weniger einer Meinung waren. Und dann war ich überrascht, dass sie gleichzeitig in vielem viel konservativer ist oder konservativer fühlt, als ich erwartet habe. Aber was überwiegt am Ende? Keine Ahnung, weshalb ich nun einfach von beidem berichte, ohne es wirklich zu gewichten oder zu bewerten.

Was gut war:

Wenn es nach meiner Oma ginge, würde die Bundesregierung morgen das Gender-Gap (wie in Minister_innen) offiziell einführen. Sie hatte zwar vorher noch nie davon gehört, aber hat das Konzept sofort begriffen. Genauso ahnungslos war sie, was die Unterscheidung zwischen sex und gender anging, aber sie hat mir fasziniert und interessiert zugehört. Intersexualität? War ihr nicht ganz unbekannt, davon stand ja kürzlich viel in der Zeitung. Und als wir über Trans* sprachen, ging es einfach nur darum, Unterschiede zwischen Transvestismus und Transsexualität etc. klar zu machen und die Begriffe zu sortieren. Spätestens da war ich wirklich verblüfft, nicht im Traum hätte ich mir ausgemalt, dass ich das ansprechen könnte. Überrascht war ich vor allem, dass sie so „wissbegierig” war und mir einfach sehr aufmerksam zugehört hat. Den Rest des Tages hat sie dann nur noch von „meinen Freunden – äh, und Freundinnen” gesprochen. Oh, und an irgendeinem Punkt meinte sie: „Es regt mich auf, dass immer von Frauenrechten gesprochen wird. Das sind doch auch Menschenrechte!” Yeah!

Andererseits, was ziemlich daneben war:

Bis dahin ging es recht abstrakt um Rechte und sprachliche Regelungen, um biologische Modelle und Konstrukte oder ihre Dekonstruktion, aber nicht um konkrete Menschen, um Individuen und ihre ganz konkrete, praktische Lebensweise. Aber eben da begann es schwierig zu werden für meine Oma à la: „Natürlich ist Homosexualität ganz normal, aber ich bin schon froh, dass keins meiner Kinder oder du so bist.” Hallo, geht’s noch? Abgesehen davon, dass sie sich da in meinem Fall ganz gehörig vertut – merkt sie nicht, dass das eine 1A-homophope Aussage war? Oh, vielleicht schon, denn dann meinte sie selbst: „Na, ja, aber wenn es doch so gewesen wäre, dann hätte ich schon gelernt, dass zu akzeptieren.” Ah, ja, aber so lange es dich nicht ganz unmittelbar betrifft, bist du nicht bereit dich mit deinen eigenen Vorurteilen zu konfrontieren? Arghh! Dasselbe haben wir dann noch mal für viele andere Fälle, die von der heteronormativen Norm abweichen, durchgespielt. Was mich so wütend dabei macht, ist diese pseudo-tolerante Haltung, die aber in Wirklichkeit einfach nur heterosexistisch ist. Aber dafür fühlst du dich gut und aufgeklärt und progressiv und tolerant, obwohl du keinen Schritt aus deiner heteronormativen Komfort-Zone machst. Doppel Arghhh! Diese Bequemlichkeit zeigt sich auch, wenn ich ihr davon erzähle, was ich mache oder versuche, um Diskriminerungen entgegen zu wirken und zu einem Wandel beizutragen. Das hört sie sich wohlwollend und zustimmend an, aber ohne ein einziges Mal inne zu halten und zu fragen: Was kann ich tun? Was könnte meine Beitrag sein? Oder denkt sie vielleicht selbst, sie sei längst zu alt dafür? Mmh, das werde ich sie wohl beim nächsten Mal fragen müssen.

Und bis dahin? Was bleibt?
Na, mein Traum von einem Zine für die Ü60-Generation!

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Eine Antwort zu „Ja, und diese Lücke beim Schreiben, dieses Gender Gap, sehen wir das bald überall?”

  1. Marc schreibt:

    Sehr interessant. Vielen Dank dafür. Und so sehr ich deine „Arrghs“ verstehen kann, da ich sie selbst bei mir immer wieder erlebe, finde ich doch, dass deine Großmutter sehr weit ist. Und zumindest im Gespräch das ganze scheinbar einigermaßen reflektieren kann. Auch wenn nicht die Frage danach kommt, was sie tun kann. Damit dürfte sie deutlich weiter sein als viele andere Menschen.

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